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Ruiniert der Sozialstaat die Arbeitsmoral?

Hartz IV vs. bedingungsloses Grundeinkommen

359 Euro plus Wohngeld plus Zuschüsse – soviel steht einem in Deutschland als Grundsicherung zu. Das ist nicht viel, um über den Monat zu kommen. Nicht nur die Partei Die Linke fordert daher eine deutliche Anhebung des Hartz IV-Regelsatzes.

Hartz IV vs. bedingungsloses GrundeinkommenBerlins regierender Bürgermeister Klaus Wowereit dagegen hält die Erwerbstätigkeit für viel zu gering bezahlt. Gegenüber dem Magazin „Der Spiegel“ forderte er „endlich anständige Mindestlöhne“. Wer Vollzeit arbeite, solle deutlich mehr Geld erhalten als diejenigen, die staatliche Grundsicherung beziehen. Zudem wurde erst im Juni 2009 der Hartz-IV-Regelsatz im Zuge der Rentenanpassung erhöht, von damals 347 Euro auf die heutigen 359 Euro.

Grundeinkommen statt Transferleistungen

Hinter der Hartz-Reform steht der Gedanke, die Grundsicherung auf einem relativ niedrigen Niveau zu halten. Dadurch und durch verschiedene Fördermaßnahmen sollten Arbeitslose angehalten werden, schneller in die Erwerbstätigkeit zurückzukehren. Dem stehen jedoch der Abbau gut bezahlter Stellen und der Ausbau des Niedriglohnsektors entgegen. Auch eine erneute Anhebung des Satzes würde an diesem ökonomischen Wandel nichts ändern.

Andere sozioökonomische Modelle gehen einen Schritt weiter: Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens etwa entkoppelt den Bezug eines Einkommens von der Erwerbstätigkeit. Es gibt verschiedene Ansätze, die sich in den Details unterscheiden. Der Grundgedanke ist jedoch gleich: Statt Arbeitslosen eine Transferleistung zu zahlen, erhalten alle Bürgerinnen und Bürger monatlich eine feste Summe – ohne Bedarfsprüfung und eben bedingungslos. Finanziert werden soll es durch eine Umgestaltung des Steuersystems.

Allerdings widerspricht die Idee des Grundeinkommens der Psychologie der westlichen Leistungsgesellschaft: Wir sind es gewöhnt, für Leistungen eine finanzielle Gegenleistung zu erhalten. Gegenleistung ohne vorherige Leistung weckt zunächst Skepsis. So befürchten die Gegner dieser Modelle, dass mit Einführung des Grundeinkommens die Arbeitsmoral und die Leistungsbereitschaft sinken.

Nicht nur Geld motiviert zum Arbeiten

Ob nun höhere Hartz IV-Sätze oder bedingungsloses Grundeinkommen – macht ein soziales Netz den Menschen tatsächlich faul? Wirken sich die staatlichen Instrumente negativ auf Motivation und Aufstiegswillen aus? Um diese Fragen beantworten zu können, muss man zunächst betrachten, was einen Menschen überhaupt zum Arbeiten motiviert. Geld ist nämlich bei Weitem nicht der einzige Antrieb, aus dem heraus Menschen einer Tätigkeit nachgehen.

Daneben gibt es eine intrinsische Motivation, der Antrieb aus sich selbst heraus. Schon Erich Fromm argumentiert in einer Schrift über das Grundeinkommen, dass der Mensch eben nicht von Natur aus träge sei. Stolz, soziale Anerkennung und Freude an der Arbeit an sich wirken als starker Antrieb zur Ergreifung einer Erwerbstätigkeit. Natürlich ist dieser Antrieb am stärksten, wenn man einer Tätigkeit nachgeht, die tatsächlich ein Beruf, eine Berufung ist, und nicht nur ein Job.

Doch wirkt diese intrinsische Motivation auch, wenn man für seine Arbeit nur 3,25 Euro die Stunde erhält? Jobs im Niedriglohnsektor sind nicht nur schlecht bezahlt, sondern zudem gesellschaftlich wenig anerkannt. Was motiviert einen Menschen nun dazu, einen schlecht angesehenen, unterbezahlten Beruf zu ergreifen, anstatt sich auf die soziale Grundsicherung zu verlassen? Einigen politische Stimmen zufolge: gar nichts. Wer die Wahl zwischen schlecht bezahlter Arbeit und Hartz IV oder Grundeinkommen habe, bliebe lieber zuhause.

Die psychologische Folgen der Arbeitslosigkeit

Doch so einfach ist es laut Michael Frese, Professor für Psychologie an den Universitäten Lüneburg und Singapur, nicht. Er untersuchte die psychologischen Folgen von Arbeitslosigkeit.

Studien belegen, dass Erwerbslosigkeit krank machen, zu psychosomatischen Beschwerden und Depressionen führen kann. Eine geregelte Tätigkeit gibt dem Leben der Menschen Sinn, strukturiert ihren Tag und sorgt für soziale Kontakte mit den Arbeitskollegen.

Frese argumentiert, dass bei Arbeitslosigkeit nicht nur diese positiven Aspekte wegfallen, sondern negative Aspekte hinzukommen. Die frustrierende Suche nach einer Arbeitsstelle beispielsweise und die gesellschaftliche Ablehnung. Denn bei der Diskussion sollte man nicht vernachlässigen, welches soziale Stigmata mit dem Erhalt der Grundsicherung verbunden ist. Das Bild der rund 6,5 Millionen Hartz IV-Empfänger in der Öffentlichkeit ist schlecht, angeheizt von medial hochgespielten Einzelfällen und von Politikern, welche Arbeitslose als „Faulpelze“ hinstellen.

Geldmangel motiviere laut Frese nur am Anfang der Arbeitslosigkeit, sich nach einer neuen Stelle umzusehen. Doch, so schreibt er, „langfristig tragen finanzielle Probleme allerdings dazu bei, dass sich die negativen Effekte der Arbeitslosigkeit erhöhen.“ Die Folge der Langzeitarbeitslosigkeit sind dann Antriebslosigkeit und Resignation. Fehlende finanzielle Sicherheit demotiviert auf lange Sicht eher, als dass sie Erwerbslose motiviert. Existenzangst und soziale Ablehnung tun ihr Übriges: Sie lähmen, der Kopf ist nicht frei, um die Zukunft zu planen und neue Projekte zu beginnen.

Es ist also ein System gefragt, das nicht nur finanziell, sondern auch psychologisch zur Arbeit motiviert. Eines, das die Existenz des Menschen sichert, ohne ihn zu stigmatisieren. Eine Anhebung des Hartz-IV-Satzes scheint eher weniger geeignet, da sich am öffentlichen Bild der Empfänger und am Gefühl des eigenen Versagens wenig ändern würde. Anders sehe es vielleicht mit dem bedingungslosen Grundeinkommen aus. Ein Pilotprojekt in Namibia weist jedenfalls vielversprechende Ergebnisse auf und zeigt, dass sich das Grundeinkommen positiv auf Schaffenskraft und Innovationen auswirken kann.

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